2025 - Jahr der evidenzbasierten Reform?
- Fragestellungen
o die nächste Gesundheitsreform
Nach der Reform ist vor der Reform. Und nach der Coronakrise und während der Begegnung mit reaktivierten Atavismen eines fossilkolonialistischen Großreichs haben wir weitere Gründe, Reformen anzustreben. Unverändert sucht Deutschland nach der Formel für eine leistungsfähige, qualitativ hochwertige und zukünftig stabile Versorgung mit Gesundheitsleistungen. Unser Gesundheitswesen hat sich allerdings bei der Umschichtung und Bereitstellung von Ressourcen für die Bewältigung der Pandemie und der Auseinandersetzung der europäischen Ordnung mit den Resten eines spätneolithischen Großreichs und dessen atavistischen Strategien gut bewährt, obwohl es offensichtlich an der rechtzeitigen Vorsorge gefehlt hat. Die fehlenden Ressourcen wurden schnell, aber zu Lasten der Regelversorgung bereitgestellt und der Mitarbeiterstamm konnte sich schnell auf eine komplexe Problemzone der Akutversorgung einstellen.
Wir wissen jetzt besser, was wir haben und noch viel besser, was uns zu einem rundlaufenden Gesundheitswesen noch fehlt: die richtige Balance zwischen kurz- und langfristigen Regelkreisen, zwischen wirtschaftlichen und professionstypischen Interessen und der Vorsorge im Interesse des Gemeinwohls. Wir brauchen neue Narrative, die den Weg zu mehr Gerechtigkeit weisen.
Für die Krankenkassen, aber auch die Leistungsanbieter ist unter alten begrifflichen Gleitschienen die Suche nach einem tragfähigen ordnungspolitischen Rahmen neu eröffnet.
Im Fokus des gesuchten ordnungspolitischen Rahmens müssen Systemanreize stehen, die darauf hinwirken, die Qualität der Leistungen für den Patienten permanent zu verbessern und alle "Ziffern" an die "Performance" und eine lückenlose Nutzenbewertung in der Perspektive des gesundheitlichen Gemeinwohls zu binden.
Im letzten Koalitionsvertrag vor der Krise war festgelegt, dass in der laufenden Legislaturperiode die Grundsätze des ordnungspolitischen Rahmens für das Gesundheitswesen neu gefasst werden sollen. Seither ist viel geschehen, aber das Kernproblem ist noch nicht gelöst. Wie sollen neue Finanzierungspfade, wie erste strukturelle Neuerungen im Zusammenspiel mit weiteren Preisregulationen auf den Gesundheitsmarkt einwirken? Was kann diesen systemwichtigen, krisenfesten Wirtschaftsbereich zum Motor des Wachstums und gleichzeitig zu einem wichtigen Vermittler der Systemakzeptanz machen? Einige Vorarbeiten aus Ministerien und Arbeitsgruppen und auch schon eine respektable Zahl diskussionswürdiger Entwürfe liegen vor; jetzt also 2024 oder wenigstens 2025!
- Ziele und Nebenbedingungen
Die am Gesundheitswesen interessierten Bevölkerungsgruppen bringen selbstverständlich unterschiedliche Zielelemente in den Diskurs über die Ziele des Gesundheitswesens ein.
- Für die Patientinnen und Patienten sind eine möglichst langanhaltende gute Lebensqualität mit möglichst geringen krankheitsbedingten Beeinträchtigungen bei gleichzeitig möglichst niedrigen Krankenkassenbeiträgen und Eigenkosten wichtig.
- Die Ärzte beanspruchten Freiheit bei ihrer Berufsausübung mit einer adäquaten Honorierung ihrer Leistungen und möglichst wenig administrativem Aufwand. Ihren Beruf wollen sie auch in Zukunft in einem angemessenen Umfeld ausüben können.
– Für die Krankenkassen stehen möglichst gute und stabil kalkulierbare und begrenzbare Risiken im Vordergrund.
Politiker wollen nachweisliche Erfolge in der Sicherstellung einer effizienteren medizinische Versorgung für möglichst viele Wähler – und eine hohe Medienresonanz für dieses Ergebnis.
Für die Industrie sind günstige Rahmenbedingungen für die Forschung und die Vermarktung ihrer Ergebnisse zentral. Hier ist eines der Gebiete, auf denen sie wieder Weltgeltung erlangen kann.
Können aus diesen Zielelementen konsensfähige Oberziele für das Gesundheitswesen konstruiert werden? Gesucht sind begriffliche Gleitschienen, die auf den Fluchtpunkt der Konsensbildung verweisen. Uns erscheint folgende Chiffrierung möglich:
Die möglichst weitgehende Gesunderhaltung der Bevölkerung ohne als allzu krass erlebte schichtspezifische Differenzen erscheint als tragfähiges übergeordnetes Ziel. Hinzu kommen die Sicherstellung der professionellen und nicht-professionellen gesundheitsdienlichen Leistungen in Prävention und Behandlung zu fairen und transparenten Preisen – als notwendiges Korrelat auch unter der Voraussetzung, dass der größtmögliche Anteil der Gesundheitsleistungen am BIP in den derzeit existierenden Gesellschaften und Verbundorganisationen noch nicht erreicht ist.
Mit diesen Oberzielen sind die folgenden Nebenbedingungen sachlogisch verbunden:
- die Einhaltung eines gesamtwirtschaftlich tragfähigen Anteils der professionellen Gesundheitsdienste am BIP
- eine nachhaltig tolerable Kosten-Nutzen-Relation der zur Gesunderhaltung des Einzelnen und der Gesellschaft notwendigen nichtprofessionellen Aktivitäten und Lernprozesse.
- Ziele, Aufgaben und Nebenbedingungen nach Akteursgruppen
Gesunde und Kranke, Leistungsanbieter und Leistungsfinanzierer, Mitarbeiter forschender und nicht forschender Organisationen, Experten und Laien im Hinblick auf die Interdependenzen des Gesundheitssystems, Arme und Reiche, Alte und Junge – aber auch Altruisten und Opportunisten verfolgen nach der Lebenserfahrung unterschiedliche Ziele und akzentuieren den Kanon der genannten und auch der bisher ungenannten Nebenbedingungen unterschiedlich.
Im Unterschied zur parteipolitischen Konsensbildung im bisher erfolgreichsten Demokratiemodell benötigt der Diskurs zur Zukunft des Gesundheitswesens – zunächst – keine Gewichtung der unterschiedlichen Zielelemente nach dem demografischen oder wirtschaftlichen Gewicht der relevanten Akteursgruppen. Da jeder Teilnehmer dieses Diskurses krank oder zumeist wieder gesund werden, verarmen oder reich werden, älter werden, ja sogar seine Einstellung zum kategorischen Imperativ mit Konsequenzen für seine Weltsicht ändern könnte, wird vielmehr ein Konstrukt der funktionalen Wechselwirkungen der genannten Akteursgruppen benötigt – und zwar ineins in der antizipierten Biografie des Einzelnen wie im Zusammenwirken der wichtigsten Akteurs-positionen in den soziotechnischen Prozessen des Gesundheitswesens. Wozu benötigen die Reichen die Armen, die Armen den Sozialstaat, die Alten die Jungen, die Jungen die Altersvorsorge, die Finanzierer die Leistungserbringer und schließlich die Leistungserbringer die Kranken – und umgekehrt? In der Regel werden wir Asymmetrie finden – aber nirgends das Fehlen einer noch so schwachen Rückwirkung. Wir reden zu Recht von einem Gesundheitssystem, weil die Standpunkte der Akteure einander unübersehbar nicht nur begrenzen, sondern zugleich auch bedingen. Jeder sieht ihn anders – aber jeder kennt den „abstrakten“ Nutznießer des Gesundheitswesens in dessen Mikro- und Makrokosmos, für dessen „Gesamtinteresse“ wir an einem neuen Gesundheitssystem arbeiten müssen. Angesichts der bekannten Herausforderungen bleibt nur genau soviel Zeit, wie wir dem Pulverdampf des Interessenstreits entreißen.
- Rahmenplanung und Ordnungspolitik
Die Bürgergesellschaft selbst ruft – sofern sie hinreichend auf ihr eigenes Wesen reflektiert - nach dem „Staat“ als dem Wahrer eines abstrakten Gesamtinteresses.
Er muss den Markt gestalten, auf dem sich die Akteure in allen ihren virtuellen Positionen und in ihrer gesamten Lebensspanne „vom Inkubator bis zum Hospizkonzept“ im Mit- und Gegeneinander zusammenfinden können. Um Münchhausen aus dem weglosen Sumpf der potenziell unbegrenzten und ubiquitären Wünsche und Ziele herauszuhelfen, bedarf es elementarer Festlegungen über Ziel- und Eckdaten sowie über die Grundsätze ihrer regionalen Verteilung – eben einer Rahmenplanung. Dazu zählen wir auch Grenzpfähle und vorsorgliche Programme gegen die natürliche Schieflage der Akkumulation – auch die Folgen von Armut und Reichtum können nicht unbegrenzt bleiben, ohne den Kreislauf der Gesundheitswirtschaft von vornherein abzubrechen. Eine Zeit lang können bisweilen die Eckdaten der Verteilung leichter in zwei oder mehr getrennten Systemen kanalisiert werden, aber die damit verbundene Instabilität ist kein denkbares Ergebnis einer tragfähigen Rahmenplanung. Privatstationen mögen bisweilen wieder errichtet werden, sie bleiben aber notwendigerweise innerhalb eines zu setzenden Rahmens für alle Akteure.
Innerhalb des Rahmens brauchen wir eine Marktordnung, die den möglichen Erfolg aller Akteure prinzipiell begrenzt und eben dadurch prinzipiell ermöglicht. Was der Planungsrahmen für alle leistet, leistet der Ordnungsrahmen für den in der jeweiligen Interaktion und Transaktion schwächeren Partner. Die Marktordnung muss auch ein Mindestmaß der Vorsorge für künftig denkbare Lebenssituationen festlegen. Bis zu einem bestimmten Grad sind unterschiedliche persönliche Risikophilosophien tolerabel und sogar dem Gemeinwohl förderlich. Es ist gut so, dass einige am liebsten nur im Jetzt genießen wollen, ohne an Armut und Krankheit im Alter oder an eine Nachkommenschaft zu denken, während andere dazu neigen, das Hier und Heute vor Sorgen um Künftiges zu vergessen. Beide Extreme der persönlichen Risikophilosophie wie auch die gesamte Bandbreite dazwischen ergänzen und bereichern sich durch die ständige Produktion und Vorhaltung einer Vielzahl alternativer Lebensmodelle, die den Spielraum Aller für neue Strategien erweitern. Genauso gut und wichtig ist es aber, ein Mindestmaß an Vorsorge zu erzwingen. Denn der Lebensmodus der Gesellschaft kann – eben prinzipiell - nicht auf das Hier und Heute begrenzt werden, er bedarf notwendigerweise der vierten Dimension. In recht vielfacher Weise stabilisiert sich die Gesellschaft über „Versicherungspflichten“ im engeren und weiteren Sinne, die Alters- und Krankheitsvorsorge ist insoweit nur ein Spezialfall, wenn auch ein solcher von besonderem wirtschaftlichem und damit ordnungspolitischem Stellenwert. Die vielfach ausgewiesenen Nachhaltigkeitslücken belegen, wie viel insoweit das „Hier und Heute“ der näheren und ferneren Zukunft schuldet. Es lohnt sich deshalb, an den ordnungspolitischen Grundlagen der Vorsorge zu arbeiten.
Auch ohne explizite und kritische Reflexionen zur Ordnungspolitik für die Gesundheitswirtschaft besteht immer schon ein faktisches Rahmenkonzept für die Gegenwart und nähere Zukunft der einzelnen Sektoren des deutschen Gesundheitsmarktes. Es fällt leicht, die Vielfalt und geringe Transparenz der faktischen Rahmenbedingungen sowie das noch rudimentäre wirkungsanalytische und empirische Fundament des Ist-Zustandes und der öffentlichen Diskussion dazu zu ironisieren. Doch wir wollen uns dabei nicht aufhalten, sondern zunächst in medias res gehen, um die aus unserer Sicht unausweichlichen Veränderungen zu benennen.
- Ersatz der Budgets durch Preisdegression
Budgets als solche und ihre vielfältigen Variationen sind ein „locus communis“ für alle, die schon einmal das Novemberfieber gepackt hat. „Nicht mehr als ...“ kann über die Grenzen von Organisationen und Rechtskreisen hinaus zuverlässig kommuniziert und überwacht werden. Eine solide Arbeit an den Strukturen wäre immer allen Beteiligten lieber, wenn sie denn die Zeit, das Geld oder die Konsensbasis dafür finden könnten .... Eben deshalb müssen wir den Schritt aus den Budgets heraus und heran an die konkreten Entscheidungsprozesse im Gesundheitsmarkt wagen. Trotzdem muss der Verantwortung treuer Haushalter auf allen Ebenen weiterhin Rechnung getragen werden – zumal im Zeitraum eines zentral gesteuerten Beitragskorridors, an dem wir wohl nicht vorbeikommen. Erleichtern wird diesen Schritt, dass es sich diesmal nicht um einen Paradigmenwechsel handelt, sondern um die Weiterentwicklung längst eingeführter Mechanismen der flexiblen Budgetierung, die im Entgeltrecht und in der Entgeltverhandlungspraxis der Krankenhäuser schon eine lange Tradition haben.
Ein tragfähiger und bereits bewährter Kompromiss zwischen Haushaltssicherung und der allseits gewünschten Steuerung über wettbewerblich vermittelte Anreize sind degressive Preisvorgaben, die bei Überschreitung vereinbarter Mengen greifen. Der Neigungswinkel kann sich an transparenten Kalkulationsgrundlagen orientieren – das verbessert gleichzeitig die Akzeptanz und die haushaltssichernde Wirksamkeit dieses Steuerungsansatzes. Es bleibt ein Restrisiko, dessen Tolerierung aber als Investition in künftig bessere Steuerungsergebnisse und mehr Systemeffizienz gesehen und vermittelt werden kann. Grundlage und Verhandlungscode für eine degressive Preisbildung können in gleichermaßen transparenter Weise in betriebswirtschaftlichen Strukturen gefunden werden wie auch in der volkswirtschaftlichen Logik von Sozialfonds aller Art. Welcher Blickwinkel oder ob beide synchron herangezogen werden ist aus systemorientierter Sicht gleich gültig – denn hinter beiden Degressionseffekten steht dieselbe wirtschaftliche Gesetzmäßigkeit.
- schrittweise Preisfreigabe bis zu Bundesrichtwerten
Die komplexen Problemlagen des deutschen Gesundheitswesens können nicht mit einem Instrument bewältigt werden. Es ist keine Frage, dass nur der richtige Mix an Maßnahmen zum Erfolg führen kann. Unabhängig von den Präferenzen der Verfasser gilt es deshalb, zunächst den gesamten „Notfallkoffer“ vorzuführen und erst in einem zweiten Schritt dessen Inhalt mit der konkreten Diagnose und Therapie zu korrelieren. Ansonsten wird die Versuchung übermächtig, aufgrund der eigenen Präferenzen zu kurz greifen.
Im Hinblick darauf soll als nächstes das Instrument genannt werden, das am ehesten Wertdifferenzen deutlich machen und dessen Erörterung am ehesten von diesen blockiert werden kann: eine schrittweise Öffnung der öffentlich-rechtlichen Preisvorgaben – selbstverständlich bei gleichzeitiger Stärkung aller marktbezogenen und administrativen Instrumente der Qualitätssicherung. Angesichts der wesentlichen Wertrelationen der Gesundheitsdienste versteht es sich von selbst, dass niemand einem unflankierten Preiswettbewerb das Wort reden will. Wohl aber könnte der Preis einzelner Leistungen und Leistungskomplexe für die Primärkunden wie auch die Sekundärkunden in den künftigen Versicherungsorganisationen einen Teil seiner legitimen Orientierungsfunktionen zurückgewinnen. Denn unvermeidlicherweise wirkt der Preis schon im heutigen System steuernd, weil niemand sein Budget unnötigerweise belasten will – auch und gerade wenn die Ursache der nach der Konvergenzphase verbleibenden Preisdifferenzen zwischen den Krankenhaussystemen der Bundesländer sowie zwischen DRG-zugeordneten und sonstigen Leistungen teilweise unbekannt sind und der Vermutung nach keinem systematischem Zusammenhang mit Effizienzvorteilen der günstigeren Anbieter unterliegen. Eine schrittweise Preisfreigabe für DRGs und komplementäre Leistungskomplexe könnte dazu beitragen, diese Steuerungsfunktion des Preise ordnungspolitisch zu integrieren.
Den Autoren dieser Zeilen schwebt die Einführung von Bundesrichtwerten für Baserates sowie die Preise krankenhausersetzender Leistungen vor, verbunden mit dem Recht der Selbstverwaltung vor Ort, unter definierten Bedingungen mit zunehmender Begründungspflicht bei zunehmender Abweichung vom Preisniveau des Landes bis zu dieser Untergrenze von den Landespreisen abzuweichen. Damit werden bisher ungeplant wirksame Preiseffekte planbar und im ordnungspolitischen Gesamtkontext integrierbar.
- Freigabe neuer Preismodelle auch innerhalb der Sektoren
Allgemein anerkanntes Ziel der Deregulierungsansätze der §§ 140a ff ist auch die freie Preisgestaltung für sektorenübergreifende Leistungsangebote und deren Steuerung. Dabei ist nicht nur die Höhe der Komplexpreise, sondern insbesondere auch das zugrundezulegende Tarifmodell im Rahmen der allgemeinen ordnungspolitischen Grenzen „frei verhandelbar“. Wir schlagen vor, auch innerhalb der einzelnen Sektoren neben der Einrichtung von Preiskorridoren auch die Einführung prinzipiell neuer Tarifmodelle – wie immer unter Beobachtung und Begleitung - freizugeben. Dazu sind Mechanismen nötig, die regional systembezogene Volumina zwischen den heute eingeführten und völlig neugestalteten Tarifmodellen vergleichbar machen, mit verbindlichen Analyseverfahren und darauf basierten Berichtspflichtigen für die Verhandlungspartner vor Ort, die gemeinsam die Verantwortung für ein alternatives Tarifmodell und dessen Tolerierbarkeit unter den Aspekten der Leistungsäquivalenz und der Verteilungswirkungen übernehmen.
Exkurs mitten ins Herz der Problematik
Voraussetzung einer wettbewerbsfreundlicheren und innovationsförderlichen Ausgestaltung der ordnungspolitischen Rahmenbedingungen für die Gesundheitsunternehmen ist aus unserer Sicht eine strikte Trennung dieser Rahmenbedingungen von den Vorkehrungen für den sozialen Ausgleich zwischen Alten und Jungen, Kranken und Gesunden, Armen und Reichen, Unternehmern, Arbeitsplatzinhabern und Arbeitslosen etc.. Vorkehrungen für den sozialen Ausgleich und die Milderung sozialer Härten in all diesen Spannungsfeldern sind notwendig nicht nur für das „Überleben“ einer zivilisierten Gesellschaft ohne ständige Unruhen und mit sicheren Straßen auch für Reiche, sie sind mehr und mehr auch wichtig für den Erfolg im globalen Wettbewerb um die qualifiziertesten Arbeitskräfte.
Sie müssen aber strikt getrennt werden von den Rahmenbedingungen des Gesundheitsmarktes selbst, in dem Innovationen und Effizienzgewinne sich bei gesicherter Qualität über den Preis durchsetzen sollen. Die Regeln für die Bildung des Preises einer guten Krankenhausleistung, eines innovativen Medikaments können und dürfen nicht mitgeprägt werden von der Sorge um eine würdige Lebensführung der Armen und der Kranken und auch nicht von der Sorge für eine sozialverträgliche Einkommens- und Vermögensverteilung! Eine solche Mitprägung sollte aus unserer Sicht gerade auch als unterschwelliges Element der Alltagserfahrung ausgeblendet, ja sogar gezielt abtrainiert werden. Wir brauchen eine neue Sichtweise und völlig neue Interpretationsschemata für das Handeln in Leistungs- und Führungsrollen im Gesundheitswesen. Der „innere Zensor“ in Gestalt eines mentalen Kassensachbearbeiters, Sozialbeamten oder gar einer ganzen Förderbehörde in jedem Akteur des Gesundheitswesens – auch noch im flottsten Alpha-Orthopäden – muss überwunden werden, um ein effizientes und soziales, global konkurrenzfähiges Gesundheitswesen zuerst denkbar, dann funktionsfähig zu machen.
Die sozialen Vorkehrungen bilden selbstverständlich einen Teil des Datenkranzes an Nebenbedingungen, der bei jeglicher ordnungspolitischer Gestaltung zu beachten ist. Das unverrückbare Bekenntnis zu dieser zivilisatorischen Selbstverständlichkeit ist sogar eine der Voraussetzungen dafür, dass die Entscheidung für beste Leistungen und faire Leistungspreise ohne Selbstzensur möglich wird. Die bestmögliche Grundsicherung und die bestmögliche Gestaltung der Anreize, den Status des Armen und jenen des Kranken wo immer es möglich ist auf dem schnellsten Wege zu verlassen bilden aber ein eigenständiges Politikfeld neben der Ordnungspolitik für das Gesundheitswesen. Sie hat die Voraussetzungen zu schaffen für beste und intersubjektiv bestimmbare Qualität, klare Preisgefüge und einen von Machtkonzentrationen freie Preisbildung und Selbstorganisation im Gesundheitsmarkt.
Die Akteure der Sozialpolitik sind ihrerseits an einem effizienten Gesundheitsmarkt mit der jeweils bestmöglichen Annäherung an das Marktgleichgewicht als einer seiner Rahmenbedingungen sehr interessiert. Für die beste medizinische Lösung der nach dem informierten gesellschaftlichen Konsens unabweisbaren medizinischen Probleme soll höchstmögliche Transparenz bei uneingeschränktem Wettbewerb für den „richtigen Preis“ sorgen – und die Grundsicherung hat ihrerseits auf gesonderten Wegen dafür zu sorgen, dass dieser Preis für alle finanzierbar wird. Das hat in einer Weise zu geschehen, die weder die wirtschaftliche Eigenmotivation der bisher Armen lähmt, noch die Arbeitssuchenden vom Arbeitsmarkt abschreckt noch die Kranken in ihrer Eigenprävention beeinträchtigt. Diese Aufgaben sind ungelöst und überaus schwierig – ihre negative Faszination darf aber nicht als stumme Begleiterin die Ordnungspolitik der Gesundheitswirtschaft sprachlos und wirkungslos machen.
Ein wettbewerblich strukturierter und allseits offener Markt im Gesundheitswesen dient grundsätzlich allen leistungsbereiten Bürgern – solange diese arm, krank, arbeitslos und behindert sind muss ein lebensfähiger Staat allerdings laufend neue Wege finden, dessen grundlegende Leistungen für alle zugänglich und damit Alle schrittweise zu eigenständigen Marktpartnern des Gesundheitswesens zu machen.
Unverzichtbar zu seiner Gestaltung ist daneben die Herstellung fairer rechtlicher Rahmenbedingungen für die Preisbildung – ohne einseitige Machtvorteile für Krankenkassen und Behörden. Dieser erfolgskritische Verzicht wird politisch ohne Selbstmordabsichten vertretbar, wenn die Finanzierung der wesentlichen Systemleistungen für alle durch ein optimiertes Transfersystem zweifelsfrei gesichert ist. Auch im übrigen muss jede übermäßige Machtkonzentration effektiv vermieden werden, um in einer Branche, die bisher noch keinen offenen Markt kannte, diesen dauerhaft zu etablieren. Neben der politischen Zustimmung der Parteizentralen muss auch die Zustimmung der wesentlichen Akteure im Gesundheitsmarkt gesichert werden.
Bei allen Eingriffen zu beachten ist auch das vom bisherigen staatsnahen Gesundheitswesen geprägte Rollen- und Wissensgefüge. Alle umsteuernden Eingriffe bedürfen der didaktischen Einführung und einer obligaten evidenzorientierten Begleitforschung.
- Übergangsregelungen für die Investitionsfinanzierung
Die bisherigen Investitionsverfahren in der Gesundheitswirtschaft sind nicht nur uneinheitlich und vielfach defizitär, sondern auch hinsichtlich der Entscheidungsträger und Entscheidungsverfahren höchst uneinheitlich. Weithin bekannt, aber ungelöst sind die Probleme des Investitionsrückstaus und der dualen Finanzierung im Krankenhauswesen. Das ist aber keineswegs der einzige im weitesten Sinne „defizitäre“ Bereich der Investitionsfinanzierung im Gesundheitswesen.
Die Länder kommen ihrer Verpflichtung zur Übernahme der Investitionskosten in ihrer Mehrzahl kaum noch nach. Im Vergleich zu 1995 fuhren die Länder die Krankenhausfinanzierung um 37,6 Prozent zurück. Die Investitionsfördermittel aller Länder beliefen sich im Jahr 2006 auf ca. 2,6 Mrd. Euro.
Der Investitionsstau in den deutschen Krankenhäusern ist - nahezu unabhängig von den unterschiedlichen Berechnungsmethoden der Experten - auf ein Volumen von über 50 Mrd. Euro angewachsen. Die Aussichten auf eine Verbesserung der Investitionsförderung ist aufgrund der noch keineswegs sanierten Haushaltslage der Länder eher gering.
Darüber hinaus führt die heutige Form der dualen Finanzierung zu einer Abhängigkeit der Krankenhäuser von der jeweiligen Haushaltslage und der jeweiligen „Krankenhausphilosophie“ der Länder. Daneben hat sich ein noch sehr unübersichtlicher Markt alternativer Finanzierungsformen von der Mezzanine-Finanzierung bis hin zum herkömmlichen Bankkredit herausgebildet. Vor diesem Hintergrund lässt sich ein Festhalten an der heutigen zweistufig-dualistischen Finanzierungsform aus Pauschal- und Einzelförderung durch die Länder nicht länger rechtfertigen.
Der Umstieg auf eine monistische Finanzierung muss – auch im Interesse der Gesamtwirtschaft – mit erheblichen Anstrengungen zum Abbau des aufgelaufenen Investitionsstaus aufgelöst werden. Das kann nur in Form eines bundesweiten Investitionsprogramms realisiert werden, in dem alle verfügbaren politischen Unterstützungspotenziale für die Gesundheitswirtschaft mobilisiert werden.
Eine bedarfsgerechte Verteilung der Fördermittel für Investitionskosten im DRG-System setzt eine sachgerechte Kalkulation der Investitionskosten sowohl im Einstiegsprogramm wie in der nachfolgenden Refinanzierung voraus. Die Projekte des Einstiegsprogramms sollten baulich und hinsichtlich der Finanzierungsstruktur sowohl für Krankenhäuser wie auch für Pflegeheime in einem bundesweiten Wettbewerb mit breiter Beteiligung aller einschlägig erfahrenen „thinktanks“ in Europa konzipiert werden, die Investanteile der laufenden Refinanzierung sollten aus unserer Sicht in Form eines leistungsgerechten Zuschlags bezogen auf einzelne DRGs (unter Berücksichtigung der Bewertungsrelation - BWR) zu berechnen. Dabei muss in einer ausreichend bemessenen „Konvergenzphase“ die bisher höchst unterschiedliche Ausstattung der einzelnen Häuser sowie der einzelnen Länder ausgeglichen werden. Dies setzt allerdings voraus, dass auch das DRG-System künftig nicht mehr die verursachten Aktivitäten, sondern gesundheitsbezogene Leistungen honoriert. Die Maßstäbe hierfür sind leichter zu finden, wenn man sich von der mathematischen Faszination der Prozedurengewichtung endgültig verabschiedet und damit zum ursprünglichen Sinn des DRG-Systems zurückkehrt.
Nicht nur das Krankenhauswesen und der Pflegeheimsektor, sondern darüber hinaus weite Teile der sonstigen Sektoren mit formal monistischer, faktisch bisher weithin ausgefallener Investitionsfinanzierung benötigen eine Anschubfinanzierung und einer grundlegenden Neukonzipierung der künftigen laufenden Investitionsanteile in den Leistungspreisen.
- Beitragsrahmen statt Fonds
Versicherungspflicht und Versicherungsbedingungen bedürfen zwingend der Regulierung, um einen offenen Gesundheitsmarkt friktionsfrei ausgestalten zu können. Umfangreiche gesundheitsbezogene Interventionen können nicht im notwendigen Umfang vorgehalten und eingepreist werden, wenn die Mehrheit der betroffenen von im Bedarfsfall vornherein finanziell überfordert ist. Es kann auch nicht allen zugemutet werden, eine solche Überforderung aus freien Stücken vorsorglich einzuplanen, wenn seine Lebenswelt noch keine Anhaltspunkte dafür bietet. Die persönliche Pflichtversicherung aller Konsumenten für hochwertige und medizinisch zwingend erforderliche Gesundheitsleistungen gehört zu den unverzichtbaren Infrastruktur-voraussetzungen einer leistungsfähigen Volkswirtschaft. Auch für die Versicherungsbedingungen und damit unter Voraussetzung eines bestimmten Stands der Morbidität, der medizinischen Wissenschaft und der Pflegekunde auch den Beitragsrahmen gibt es notwendigerweise eine gesamtstaatliche Verantwortung. Es gibt aber keinerlei Grund, für einen Teil des Marktes der Krankenversicherung ein wie auch immer geartetes einheitliches Beitrags- und Beitragseinzugssystem aufzubauen. Eine solche Idee kann nur dem Budgetdenken des klassischen Gesundheitswesens – gleich ob steuer- oder beitragsfinanziert entspringen. Sie sollte gesichtswahrend für die federführenden Akteure in einen flexiblen Leistungs- und Beitragsrahmen für alle Krankenversicherungen überführt werden, der wohl neben vielen anderen Parametern an gesamtwirtschaftlichen Rahmenbedingungen, keineswegs aber an der Lohnsumme orientiert werden sollte.
- Korridore für Sondertarife
Eine logische Ergänzung des Beitragsrahmens ist ein flexibler Korridor für Sondertarife, der mit ansteigenden Schutzvorkehrungen für die Versicherten je nach dem Ausmaß der Entfernung von der Gesamtdeckung verbunden werden sollte. Je weitergehend die Abkehr vom Prinzip der Risikogemeinschaft, desto besser die Aus- und Umstiegschancen des Versicherten. Eine solche „gekrümmte Schutzwand“ erleichtert den Ausgleich zwischen dem Interesse der Kassen an eindrucksvollen Marketingargumenten und dem Schutzziel der Krankenversicherung als solcher – über die Instrumente der versicherungsmathematisch fundierten und gleichzeitig zielkonformen Tarifkalkulation. Von den ersten Kalkulationsbeispielen sollte sich der Gesetzgeber nicht entmutigen lassen.
- Sondertarife und Preissystem: Kein Systemausstieg!
Sondertarife des Versicherungssystems sollten nicht mit einer generellen Abkehr von den eben erst neu gebildeten Regeln für die Preisbildung für die „Leistungserbringer“ einhergehen. Soweit sie die Inanspruchnahme von Gesundheitsdiensten auf freiwilliger Basis an besondere Bedingungen knüpfen, bietet es sich wohl grundsätzlich an, auch für die Abrechnung der neukonzipierten Diagnostik- und Behandlungsepisoden besondere Regeln einzuführen. Im Interesse der Praktikabilität für Kunden, Leistungserbringer und Versicherer sollten dafür jedoch Beschränkungen vorgesehen werden – sonst könnte sich der Schwerpunkt der Leistungsprozesse ungewollt und nicht mehr steuerbar in die Sondertarife verlagern. Was dort und damit angestrebt würde, sollte aber besser zunächst im „Mainstream“ geregelt werden, um der notwendigen Vielfalt den einheitlichen ordnungspolitischen Rahmen zu erhalten, der sie kalkulierbar und damit nachhaltig gestaltbar macht. Statt des Systemausstiegs in Nischen sollte primär die Systemüberwindung „auf offener Bahn“ ohne den Verlust bewährter Elemente gefördert werden. Das ist das Körnchen Wahrheit in der heute verbreiteten, etwas populistischen Kritik des Honorarwildwuchses im PKV-Bereich. Weder Revolution noch Evolution lebt von den ausgegliederten Lebensräumen – beide leben vielmehr von den Antriebskräften des Massenbedarfs und von der verborgenen Weisheit mindestens regionenweit offener Interaktionsfelder. Dort liegen die Chancen für die eingangs ausgewiesenen Ziel und Zielsysteme!
Gesundheit bleibt ein Vertrauensmarkt und darf kein Misstrauensmarkt werden. Die Nachhaltigkeit der Gesundheitsvorsorge und damit die Herausforderung zu entsprechenden Aufwendungen schon in gesunden Tagen muss zum wesentlichen Inhalt der führenden Marketingkonzepte und damit schrittweise auch zu den inhaltlichen Determinanten des Preis- und Qualitätswettbewerbs werden. Nur so werden die allgegenwärtigen Beharrungskräfte daran gehindert, den neuen Gesundheitsmarkt unter einen Generalverdacht des Raubbaus an wichtigen volkswirtschaftlichen Ressourcen und der Entsolidarisierung zu stellen. Die Kunden der erfolgreichen Leistungsanbieter bleiben solidarisch mit ihrer eigenen Zukunft und damit mit der Gesundheit als volkswirtschaftlicher Ressource – das wird ein zugesagtes und erfülltes Merkmal auch der speziellsten medizinischen und pflegerischen Einzelleistung. Nur im professionell geübten und strategisch kommunizierten Seitenblick auf ein erfolgreiches Leben aus „ganzheitlicher Gesundheit“ kann der 6te Kontratieff mit wirtschaftlichem Leben erfüllt werden.
- Szenarien der Chancenstruktur
Wir müssen mit insoweit „kontrafaktischen“ Regulationsbestrebungen während des gesamten Lebenszyklus des deutschen Gesundheitsfonds rechnen. Kurzfristige Risikoselektion und „ausbeuterisches“ Einzelkontrahieren jedenfalls im elektiven Bereich bleiben noch auf längere Sicht für die Strategen der Kassen und Leistungsanbieter unausweichlich.
Im wahrscheinlichsten Szenario I bleibt dieser Gegenwind jedoch begrenzt durch salvatorische Budgets und Koalitionskompromisse. Das kann einen geschützten Lebensraum für die Vorboten des neuen Gesundheitsmarkts in der IGV und in Einzelkontrakten schaffen – unter der Voraussetzung, dass die Dominanz der zentralen Entscheidungsfindung in Gesundheitsfonds und gemeinsamen Ausschüssen durch endobürokratische Hindernisse begrenzt bleibt.
Weniger wahrscheinlich erscheint uns Szenario II , in dem in der nächsten Rezession ein neuer ordnungspolitischer Purismus den Erosionswettbewerb forciert. Dann wird es auf die Beharrlichkeit und fundierte Planung der wesentlichen Ketten ankommen.
Schließlich könnte es unter Führung der neuen Zentralkasse zu einem staatswirtschaftlichen Umbau des Gesundheitswesens kommen, der zwar der Nachhaltigkeit zugute kommt, die wirtschaftliche Entfaltung des Gesundheitswesens in der Breite der Massenversorgung aber auf Dauer hemmt. Erfreulicherweise ist dieses Szenario der Polemik zuzuweisen.
- Lösungsvorschläge als Trendaussage
In der aktuellen Umbruchsituation vermischen sich die Funktionen des profetischen Reformers und des Analytikers.
- gesetzgeberische Schritte und ihre Evaluation
- Marktbereinigung und Nutzenfunktionen
- die bestmöglichen Startpositionen
- Grund- und Zusatzleistungen: IGEL für alle
- Verfahren und Kriterien zur Fortschreibung des Grundleistungsrahmens
- Einbindung der Kundenpräferenzen
- Einbindung der Sachkompetenz
- Kosteneffizienz als Leitkriterium
- Mindestgrößen und Mindestmengen
- der optimale Verbund
- die optimale Organisation